Noch nie gab es so viele Möglichkeiten wie heute, sich auf einen Umstand vorzubereiten, der für eine Frau beim ersten Mal völlig neu ist - Schwangerschaft,
Geburt und das Leben mit einem
Baby. Das Internet ist voll mit Ratschlägen aus allen Richtungen der Weltanschauung.
Mutter-Baby-Bücher bekommt man von Freundinnen, aber auch gerne von Cousinen und Schwiegermüttern geschenkt - die meisten sind gebraucht, von A bis Z durchgearbeitet. Entscheidende Stellen sind mit Post-its oder Kommentaren versehen. Ist das Baby dann zu Hause angekommen, prasseln Ratschläge von allen Seiten auf die junge Mutter ein - meist gut gemeint, aber ungefragt, verwirrend, verunsichernd. Als stehe man unter Generalverdacht, immer etwas falsch zu machen. Was nimmt man an, was vergisst man am besten gleich wieder und wie findet man es selbst heraus, was für Baby und auch Mutter das Beste ist?
Foto: Nina Buday / Shutterstock.com Woran hält man sich als frisch gebackene Mutter?
Die meisten Mütter haben kein Vorbild greifbar. Man lebt eben seltener mit einer älteren Schwester unter einem Dach - das Model Grossfamilie war gestern.
Da gibt es die Hochglanz-Mamas, die drei Wochen nach der
Geburt wieder eine Bikinifigur haben. Die in durchgestylten Wohnungen eine
Baby-Party organisieren und das Baby auf jedem Foto süss schläft - ohne Schnuller, mit Glitzer-Herzchen-Stirnband.
Da gibt es die Waldorf-
Mutter, bei der alles Natur belassen ist. Bequeme Kleidung, in der sie auch schläft, die Haare zusammengeknotet - zu viel Duschen soll nicht gut sein. Seit der Geburt - mit Mann und Hebamme im Haus - war sie keine Minute von ihrem Baby getrennt. Sie trägt es fest an sich gebunden in einem Trage-Tuch. Es kann immer und überall gestillt werden, was es auch nutzt. Die Windeln aus Bio-Baumwolle kochen in einem Topf auf dem Herd. Der Vater erledigt die Einkäufe und die Mülltrennung. Geschlafen wird zu dritt auf dem bodennahen Futon. So harmonisch, so ruhig - die perfekte Idylle.
Die Realität liegt wie so oft irgendwo dazwischen. Fakt ist, dass auf Erstgebärende erheblich mehr Erwartungen lasten als noch eine Generation davor. Es ist selbstverständlich so schnell wie möglich wieder zu funktionieren - eine Geburt ist ja kein Einzelschicksal.
Hatten es Mütter früher einfacher?
Veras
Mutter erzählt, wie wohltuend die Woche in der Klinik war. Sie konnte sich von den Strapazen der
Geburt erholen. Kräfte sammeln, von anderen lernen, so das erklärte Ziel. In der Nacht wurdest du mir frisch gebadet gebracht, stillen, Bäuerchen, danach Schnuller rein und wieder ins Neugeborenen Zimmer gerollt. Ich hatte Zeit zu duschen, mich zu pflegen und genoss den Schlaf. Vera kommt aus dem Staunen nicht mehr raus. Wenn du das heute bringen würdest, wären die anderen Mütter, die anderen Väter, einfach alle über dich hergefallen. Sie hätten dich als Rabenmutter beschimpft - oder direkt angezeigt. Trotz nächtlicher Trennung hat Vera eine warmherzige
Beziehung zu ihrer Mutter. In den Neuen Medien sind sich alle einig: Stillen auf jeden Fall, nicht weinen lassen, kein Schnuller so lange wie möglich mit im Bett schlafen lassen, Tragetuch statt Wippe.
Heute war ich zum ersten Mal mit Pia im Park spazieren. Da ranzt mich eine Frau von hinten an: Sie wissen schon, dass ihr Kind schielen wird. Wieso hängen sie so eine blöde Kette direkt vor ihre Augen? Also habe ich sie mit schlechtem Gewissen abgehängt. Die Flasche mit dem Milchpulver und den Schnuller habe ich unter der Decke versteckt. An manchen Tagen bin ich so durcheinander, dass ich mich frage, ob Muttermilch eigentlich vegan ist. Der stolze Vater Rolf bekommt ungefragt keine tollen Tipps. Er erntet schon Beifall, wenn er es schafft, den Kinderwagen ohne Verletzungen zusammenzufalten. Er könnte auch eine Stunde mit dem
Baby spazieren gehen, Vera hätte dann Zeit für sich. Aber ihm ist es zu unsicher, sich zu weit von der Mutter zu entfernen, das geht nicht. Was soll er machen, wenn das Baby nicht mehr aufhört zu schreien? Böse Blicke von Fremden sind ihm gewiss. Das kann er auf keinen Fall riskieren. Beim Verabschieden hat Veras Mutter noch gesagt: Nur, wenn es der Mutter gut geht, geht es auch dem Kind gut! Das war der beste Tipp seit Langem.
Unperfektheit gelassen zulassen
Vera, wenn du es vier Wochen nach der
Geburt schaffst, bis 15:00 Uhr aus dem Schlafanzug zu kommen, dann Hut ab, beruhigt sie die
Mutter am Telefon. Und lass mal fünfe gerade sein. Deine Küche, dein Bad - es muss nicht alles so picobello sein wie früher. Wer dafür kein Verständnis hat, braucht ja nicht mehr kommen. Vera hat sich angewöhnt, ein grosses Strandtuch über das Chaos über das Sofa mit Kötzelflecken zu werfen, sobald Besuch kommt. Kaffeekochen muss man selbst, oder es gibt Fencheltee, lauwarm. Kannst du mal kurz halten? Will mir schnell die Haare waschen. Etwas unbeholfen nimmt ihre Nachbarin das
Baby in den Arm. Und wenn es schreit? Schnuller! Als sie im Bad fertig ist, liegt das Baby friedlich auf der Spieldecke, die Nachbarin summte eine Melodie, es duftet nach Kaffee. Hab einen Apfelkuchen mit Schmand mitgebracht, der bläht am wenigsten. Das müssen wir wiederholen, so unkompliziert, danke dir.
Übrigens: Körper und Geist einer frischgebackenen Mutter verändern sich. Nicht ohne Folgen für das Liebesleben. Demnächst mehr.
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